12. Dezember 2019 | Marathon-News

„Wir nehmen jeden mit seinen jeweiligen Zielen ernst“

Renndirektor Jo Schindler im Interview über Marathon als Inszenierung, Marathon als Bühne für jedermann und Marathon, der kein Karneval werden soll

Jo Schindler, Sie hatten in diesem Jahr einen Teilnehmer, der mit einem schweren Holzstamm auf dem Rücken gelaufen ist, es gab Menschen im Hasenkostüm oder verkleidet als Hammermann mit einem entsprechenden mächtigen Hammer. Warum machen die Leute so etwas?

Der Marathon ist eine große Bühne. Zuerst natürlich für die Sportler, aber es geht für viele auch darum, sich zu zeigen, eine Geschichte zu erzählen, auf etwas hinweisen, was ihnen wichtig ist. Wie dieser Mann, der für den erkrankten Formel-1-Rennfahrer Michael Schumacher läuft. Dafür nutzen sie dann die vier, fünf Stunden in der Öffentlichkeit. Beim London-Marathon ist diese Szene noch viel größer; in der angelsächsischen Kultur gehört das Verkleiden dazu. In Frankfurt ist so etwas seit einigen Jahren ein spürbarer Trend. Wir bekommen immer mehr entsprechende Anfragen, was wir gestatten, und was nicht.

 

Und was gestatten Sie nicht?

Wenn ein geplanter Auftritt nicht mehr sportlich ist und andere Teilnehmer behindert.

 

Warum wird gerade die Bühne Marathon genutzt?

Weil es etwas Besonderes ist, 42,195 Kilometer zu laufen. Man ist lange unterwegs und hat mediale und öffentliche Aufmerksamkeit, die hier deutlich größer ist als bei einem Zehnkilometerlauf irgendwo. Man ist vielleicht sogar im Fernsehen, wird fotografiert, fällt in den sozialen Netzwerken auf – und bekommt viel Applaus von zigtausend Zuschauern. Wer bei so einem Rennen wie unserem eine Botschaft aussenden möchte, findet hier auch Empfänger.

 

Profitieren vom Klamauk auch normale Sportler, denen es um eine persönliche Bestzeit oder nur ums Ankommen geht?

Es ist nicht nur Klamauk, es sind auch oft ernsthafte Anliegen. Ich glaube schon, dass so ein buntes Treiben für die Marathonszene insgesamt gut ist, weil es für Belebung und öffentliche Wahrnehmung sorgt. Positive Stimmung sorgt für ein positives Image unseres Sports. Trotzdem müssen wir aufpassen, dass so etwas nicht überhandnimmt auf Kosten des sportlichen Stellenwerts. Dann würden wir in eine Art Karneval abdriften – und dafür bin ich nicht zuständig.

 

Für viele Sportler ist der Mainova Frankfurt Marathon ein bedeutsamer Tag im Jahr oder sogar im Leben. Was sagt das über die gesellschaftliche Bedeutung so eines Rennens aus?

Der Marathon ist der Mount Everest des kleinen Mannes, lautet ein alter Satz, der ausdrückt, dass wir es hier mit etwas Besonderem zu tun haben. Als ich noch sportlich ernsthaft aktiv war, orientierten sich alle an harten, sportlichen Zielen. Wie etwa: Man muss einen Marathon unter drei Stunden laufen, alles andere ist belanglos. Das hat sich deutlich verändert. Es gibt eben viele Menschen, die wollen so einen Lauf einfach nur genießen, ohne strenge Zeitvorgaben. Und die wollen wir genauso bedienen wie die Spitzenläufer oder die ambitionierten Amateursportler. Wir wertschätzen und nehmen jeden mit seinen jeweiligen Zielen ernst. Der Zieleinlauf auf dem roten Teppich ist ja dann auch die große Bühne für alle. So ein grandioser Ort, solch eine tolle Stimmung – als Akteur derart herausgehoben zu werden, das gibt es sonst nur bei Galaveranstaltungen.

 

Inwieweit ist das Rennen für Sie eine Bühne? Sind Sie nicht eine Art Theaterdirektor?

Zum Teil bin ich in das in der Tat. Schließlich muss ich mir Gedanken über die Inszenierung einer solchen Veranstaltung machen, wie ein Regisseur im Theater. Ich sehe mich nicht als Impresario. Aber ich möchte den Leuten eine Bühne bereiten, und dazu gehört eben der Zieleinlauf, der einzigartig auf der Welt ist, und den wir uns eine Menge Geld kosten lassen. Die großen Marathonläufe der Welt sind eben Bühnen.

"Der Marathon ist eine große Bühne. Zuerst natürlich für die Sportler, aber es geht für viele auch darum, sich zu zeigen, eine Geschichte zu erzählen, auf etwas hinweisen, was ihnen wichtig ist." - Renndirektor Jo Schindler
Auch mit einem Baumstamm auf der Schulter lässt sich ein Marathon laufen...